Senioren­seelsorge

Die eigene Vergänglichkeit – Krankheit – unerfüllte Lebensträume – Einsamkeit – Schuldgefühle – Demenz……

Diese Fragen und Problemstellungen, die in allen Kulturen und Religionen den Menschen beim Älterwerden bewegen, stellen sich natürlich auch den älter werdenden Menschen muslimischen Glaubens. Wir muslimische Seelsorger*innen begleiten Sie verschwiegen und verständnisvoll in und durch diesen neuen, umwälzenden Lebensabschnitt und suchen mit Ihnen gemeinsam nach Quellen der Stärke und inneren Balance.


Altern – eine umwälzende Entwicklung

Der Eintritt in den Ruhestand oder der Umstand, dass die Kinder erwachsen geworden sind und ihre eigenen Wege gehen, stellt einen großen Umbruch im Leben für Frauen und Männer dar. Es ist mehr Zeit da, die bisherige Beschäftigung mit Pflichten zu vermissen und sich auf die Sinnsuche und die Suche nach neuen Aufgaben zu machen. Unweigerlich bringt die Zukunftsfrage auch Krankheit und die eigene Vergänglichkeit in den Blick und damit verbunden auch immer mehr die Frage, wie man im Alter versorgt wird. War die Versorgung und Pflege für muslimische Menschen mit Migrationshintergrund entsprechend ihrer kulturell-religiösen Tradition immer Aufgabe der Familie, so zeichnen sich hier große Veränderungen ab.

Für die seelsorgerliche Betreuung älterer muslimischer Menschen sind zwei Gesichtspunkte von besonderer Bedeutung und von besonderem Einfluss: Islamische Normen und Migrationshintergrund mit Sprachbarriere.


Migrationshintergrund, religiöse Grundsätze und Werte

​Für die muslimische Bevölkerung der älteren Jahrgänge ist gegenwärtig für die Mehrheit von einem Migrationshintergrund auszugehen. Die weitaus meisten muslimischen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland sind türkischer Herkunft. Geflüchtet vorm Krieg in ihren Heimatländern leben mittlerweile auch sehr viele muslimische Menschen aus Syrien, Afghanistan, Irak, Kosovo und Bosnien-Herzegowina in unserem Land. Auch viele Muslim*innen aus afrikanischen Ländern, wie z.B. Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen, Ägypten, Somalia, Sudan und Eritrea haben ihre Heimat hier gefunden.

​Der Migrationshintergrund sowie die religiösen Grundsätze und Werte der muslimischen Bürger*innen hinsichtlich des Umgangs mit den eigenen älter werdenden Eltern sowie älteren Menschen allgemein sind zwei entscheidende, ganz spezifische Besonderheiten und die einzelne Person fundamental prägende Aspekte im Kontext der Seelsorge für muslimische Menschen.

​„Und dein Erhalter hat bestimmt, dass ihr nur Ihm dienen und zu den Eltern gütig sein sollt. Wenn nun einer von ihnen oder beide in deiner Fürsorge ein hohes Alter erreichen, dann sage niemals ‚Bah!‘ zu ihnen und fahre sie nicht an, sondern sag zu ihnen ehrerbietige Worte und breite aus Barmherzigkeit den Flügel der Demut über sie und sag:

„Mein Erhalter, erbarme Dich ihrer ebenso wie sie mich aufgezogen haben als ich klein war.”

(Qur´an 17:23-24)

​Dieser Vers kann als theologische Grundlage der islamischen Altersseelsorge angesehen werden.

​Vor diesem Hintergrund galt und gilt es in islamisch geprägten Gesellschaften wie auch in den vereinzelten muslimischen Familien in unserem Land als verpönt, zuzulassen oder zu arrangieren, dass Mutter oder Vater in einem institutionellen Altersheim untergebracht wird. In den meisten islamisch geprägten Gesellschaften ist die Möglichkeit einer Versorgung der Älteren in einem Altersheim noch nicht einmal gegeben, so selbstverständlich ist die Versorgung und Pflege in der Familie. Die einzelnen Familienmitglieder können dies mit ihrem Selbstverständnis als Muslim*innen mit dem religiös sehr hoch eingeforderten Respekt den Eltern gegenüber nicht vereinbaren. Sie machen sich große Selbstvorwürfe, wenn sie merken, dass dies eine Möglichkeit in ihrer Lebenssituation wäre, da sie schlichtweg überfordert sind. Der ältere Mensch, um den es jeweils geht, fühlt sich als Last und nicht mehr als Familienmitglied erwünscht. Auch von Außenstehenden will niemand sich vorwerfen lassen, Mutter oder Vater in ein Altersheim „abgeschoben“ zu haben. Dies ist für alle Beteiligten eine sehr belastende Situation. Jedoch ist eine einschneidende Veränderung der Lebensverhältnisse und Familienstrukturen zu verzeichnen. Durch Migration und vermehrt auch durch Flucht und damit verbundener Trennung von Familie und Verwandtschaft, gibt es mehr alleinlebende Menschen und vor allem kleine Familie, Kernfamilien, lediglich bestehend aus Eltern und Kindern. Dies ist für unsere Gesellschaft schon länger kennzeichnend, für Menschen aus islamisch geprägten Gesellschaften ist dies untypisch und wie ein Herausriss aus den üblichen, bestehenden Familienstrukturen mit ihrer Aufgabenteilung und ihren Auffangressourcen. Daneben gibt es auch die bewusste Entscheidung für ein anderes Lebenskonzept. Jüngere Generationen verwirklichen ihre eigenen Lebensvorstellungen in Orientierung an der Gesellschaft, in der sie leben. Insbesondere muslimische Frauen entscheiden sich verstärkt für eine höhere Bildung und Berufstätigkeit. Dies hat zur Folge, dass sich weitläufig die Familienstrukturen, die eine Versorgung und Verpflegung der älteren Familienmitglieder gewährleisten, auflösen, waren und sind doch Fürsorge und Pflege, wie in allen Kulturen, vornehmlich Aufgabe der Frauen. Durch veränderte Familienstrukturen ist dies oft nicht weiter durchzuhalten. Insbesondere die pflegenden Frauen stoßen an ihre gesundheitlichen und psychisch-moralischen Grenzen. Dies fordert von allen Beteiligten einen Prozess des Umdenkens und Umstellens. Diese Umstellung, ohne die religiösen Grundwerte zu verletzen, ist eine Herausforderung für uns heute und für die Zukunft. Hier ist eine seelsorgerliche Begleitung des älteren Menschen und der pflegenden Familienangehörigen geboten, eine sensible religiöse Aufklärung darüber, dass es religiös gesehen keine Sünde ist, das pflegebedürftige Familienmitglied in professionelle Pflege zu geben, und das es auch kein sich entledigen eines Familienmitgliedes ist. Dies geschieht am besten durch Seelsorger*innen, die den gleichen religiösen Hintergrund haben.

Nicht alle Musliminnen und Muslime in unserem Land haben Migrationshintergrund. Es gibt auch deutsche muslimische Familien, wenn auch in der Minderheit. Auch diese Familien orientieren sich selbstverständlich am gleichen islamischen Grundwert des Respektes und der Fürsorge den Eltern und älteren Menschen gegenüber. Die Frage ist, inwiefern dies im Rahmen einer Kleinfamilie und mit Berufstätigkeit von Mann und Frau konkret umsetzbar ist bzw. welche alternativen Angebote oder Ergänzungsangebote es gibt, welche Gestaltungsmöglichkeiten auf diesem Wege sich auftun. Islamische Seelsorger*innen sind sich diesen Umständen, die innere Konflikte mit sich bringen, bewusst und geschult, diese einfühlsam und religiös fundiert zu begleiten.



Migrationshintergrund und Sprachbarriere

​Mit dem Migrationshintergrund der älteren muslimischen Generation in Deutschland ist die Problematik der Sprachbarriere verbunden. Ältere muslimische Bürger*innen hatten in ihrer Einwanderergeneration aus verschiedenen Gründen nur einen unbefriedigenden Zugang zum Erwerb der deutschen Sprache. Dies bedeutet nicht nur, dass sie sich in der Mehrheit nicht gut verständlich machen können, wenn es nicht gerade um gewöhnliche, alltägliche Dinge geht, sondern betrifft besonders auch die Mitteilungsfähigkeit, wenn es um die Beschreibung ihrer Probleme und ihrer Befindlichkeit geht. Die Kommunikation in der Muttersprache bietet u.a. der älteren Migrant*innengeneration die Möglichkeit, ihre Bedürfnisse verständlich auszusprechen. Das Gespräch in der Muttersprache schafft ein Gefühl von Heimat und Geborgenheit und lässt den Betroffenen Wertschätzung und Schutz spüren. Der Mensch kann in einer persönlichen krisenhaften Situation er selbst sein, und dies trägt bei zum seelsorgerlichen Gelingen. Unsere ausgebildeten islamischen Seelsoger*innen sind mindestens zweisprachig. Es ist uns ein Anliegen, die Menschen bei Bedarf in ihrer Muttersprache betreuen zu können.

​Einen weitreichenden Einfluss haben die fehlenden Sprachkenntnisse, wenn es um Wissens- und Informationsvermittlung geht. So besteht, was die Altenhilfe als Teil des deutschen Sozialsystems angeht, ein Informationsdefizit, was Migrant*innen den gleichberechtigten Zugang zu Hilfsangeboten erschwert. Infolgedessen wird auch kaum vorgesorgt, und wenn die Pflegebedürftigkeit plötzlich eintritt, kann sich die Betroffene bzw. der Betroffene nicht mehr selbst helfen. In der gesamten Bevölkerung wird auf einen guten Informationsstand und Vorsorge hingewirkt, jedoch haben ältere Migrant*innen in dieser Hinsicht nochmals einen erschwerten Zugang. Gerade die Migrant*innen der älteren Generation sind aufgrund ihrer Migrationssituation in ihrem persönlichen Leben kaum mit dem Problem der Altenhilfe konfrontiert worden, da sie ihre älteren Familienmitglieder in der Heimat zurückgelassen haben. Unsere Seelsorgenden sind sich diesen Schwierigkeiten bewusst, unterstützen auch bei der Informationsbeschaffung und wirken darauf hin, sich frühzeitig um eine Patientenverfügung oder auch um eine Vorsorgungs- oder Betreuungsvollmacht zu kümmern.


Religiös-spirituelle Begleitung

​Es ist davon auszugehen, dass in Zukunft die Muslim*innen, der in Deutschland sozialisierten Generationen die professionelle Altenhilfe in Form von Tagesangeboten, ambulanten Pflegediensten und institutionellen Pflegeheimen wesentlich stärker in Anspruch nehmen. Deswegen ist das Engagement der islamischen Seelsorge im Bereich der Altenpflege von großer Bedeutung. Die islamischen Seelsorger*innen können auch in Altenheimen, Pflegeeinrichtungen sowie in der Palliativversorgung in Hospizen bei der Beachtung bestimmter religiöser Regelungen (Essensvorschriften, Hygienevorschriften, Waschungen, das Schamgefühl betreffend) sowie der Ausübung der religiösen Riten unterstützen. Gerade die ältere türkischstämmige Migrant*innengeneration hatte in ihrem Leben besondere Probleme zu bewältigen. Heimweh, Heimatverlust und Rückkehrillusion sind Stichworte für starke lebenslängliche seelische Belastung. Gearbeitet wurde zumeist in prekären, d.h. gering bezahlten und gesundheitsgefährdenden Arbeitsverhältnissen, was im Vergleich zur deutschen Bevölkerung oft vorzeitige Arbeitsunfähigkeit zur Folge hatte sowie früher eintretende Pflegebedürftigkeit. Diese Menschen bedürfen einer Seelsorge, die diese lebensgeschichtlichen Schwierigkeiten sensibel in die Betrachtung einbezieht.

Unsere muslimischen Seelsorgenden tragen auch dafür Sorge, dass eine religiös-spirituelle Begleitung auch dann, wenn das Sterben unausweichlich ist, möglich und eine Sterbebegleitung nach islamischem Ritus gewährleistet ist. Bei vielen älteren Menschen ist die Vorstellung, nicht zu Hause, sondern in einer fremden Umgebung zu sterben mit der Angst verbunden, dass die islamischen Riten nicht beachtet und erfüllt werden. Sind aber muslimische Seelsorger*innen vor Ort, kann dies den Betroffenen diese Ängste nehmen (zu Sterbebegleitung nach islamischem Ritus siehe SEELSORGERLICHE ANGEBOTE, Hospiz- und Palliativseelsorge für Erwachsene und ältere Menschen).