Krankenhaus­seelsorge

Krankheit – schlimme Diagnose – einsam – Schmerzen – Ungewissheit – Sorgen – Ängste – Befürchtungen

Die Zeit im Krankenhaus durchbricht Ihren gewohnten Lebensrhythmus. Vieles wird Sie in dieser Zeit innerlich bewegen: Ängste, Hoffnungen, Sorgen um die Familie, um Ihre eigene gesundheitliche Zukunft, vielleicht auch Fragen zu Religion. Wir muslimische Seelsorger*innen stehen Ihnen, zur Verschwiegenheit verpflichtet, gern zur Seite. Wir sind gleichermaßen mit der Kultur und dem Islam vertraut. Gemeinsam mit Ihnen suchen wir nach den Quellen Ihrer Kraft.

Religiös begründete Pflicht des Krankenbesuchs

Kranke und Notleidende zu besuchen und ihnen beizustehen, ist eine religiöse Pflicht im Islam. In der Sunna existiert eine Vielzahl von Überlieferungen über Krankenbesuche, die von unserem Propheten Muhammad regelmäßig unternommen und uns mit ihrer Wichtigkeit ans Herz gelegt wurden.

„Allah, der Mächtige und Erhabene, wird am Tage der Auferstehung dem Menschen vorhalten: ‚O Kind Adams! Ich erkrankte, doch du besuchtest Mich nicht!‘ Er wird antworten: ‚O mein Herr! Wie hätte ich Dich besuchen können, wo Du doch der Herr der Welten bist?‘ Allah wird erklären: ‚Hast du denn nicht erfahren, dass Mein Diener Soundso krank war, und du hast ihn nicht besucht? Hast du denn nicht gewusst, wenn du ihn besucht hättest, hättest du Mich bei ihm gefunden! O Kind Adams! (…).‘“

Riyadu s-Salihin: Hadith-Nr. 896, Buch 7, Kapitel 144

Schon bei Gesundheit wird zum Pflegen der Gemeinschaft im religiös-rituellen Bereich (z.B. Gemeinschaftsgebet) sowie im Privaten angehalten. Dies stärkt den Zusammenhalt sowie das persönliche Teil-sein und bietet ein Netz des Auffangens in einsamen oder schwierigen Situationen. Erst recht bei Krankheit ist dann geboten, den Nächsten zu besuchen, ihm Mitgefühl entgegenzubringen und beizustehen, sei es Beistand seelsorgerlicher oder materieller Natur.

„Das Gleichnis der Gläubigen in ihrer gegenseitigen Freundschaft und Barmherzigkeit sowie ihrem Mitgefühl füreinander ist wie der Körper eines Menschen: Wenn ein Glied leidet, so leidet der ganze Körper an Schlaflosigkeit und Fieber.”
Überliefert bei al-Buhari und Muslim;

Riyadu s-Salihin: Hadith-Nr. 224, Buch 1, Kapitel 27

Häufig ist für das Pflegepersonal, die Ärzte*innen und die Mitpatienten*innen zu beobachten, dass muslimische Patient*innen im Vergleich außergewöhnlich viel Besuch bekommen. Dies resultiert aus den religiösen Verpflichtungen der Muslims ihrem kranken Nächsten gegenüber. Dieser Besuch gilt der Anteilnahme, Trostzusprechung und Ermutigung des Erkrankten und verspricht gleichzeitig den Besuchenden gewissermaßen einen Lohn:

​„Wer auch immer eine kranke Person besucht, taucht in Barmherzigkeit ein bis er sitzt, und wenn er sitzt, ist er darin versunken.“

Al-Albani, Al-Silsila as-Saheehah, 2504


Religiöses Wissen und interkulturelle Kompetenz

An dieser Stelle sei ein Beispiel aus diesem religiösen und interkulturellen Bereich ausgeführt. Ein übergroßer Besucherstrom, wie oben erwähnt, kann leicht zu einer Störung der Mitpatient*innen, des Personals und des Arbeitsablaufes auf der Station führen, nicht zuletzt auch zu einer Belastung des Patienten oder der Patientin selbst. Das bedeutet nicht, dass Krankenbesuche unterlassen werden sollen, jedoch ist Rücksichtnahme angezeigt. Der Krankenbesuch soll Anteilnahme, Beistand und Hilfe für die Erkrankte bzw. den Erkrankten sein und nicht zu einer Strapaze. Hier ist zu berücksichtigen, dass es für den Patienten eventuell körperlich anstrengend ist, wegen dem Besuch länger zu sitzen oder auch, dass Ruhe zur Genesung wichtig ist.

Zu den muslimischen Tugenden eines Krankenbesuches gehört es, eine passende Zeit zu wählen, eventuell in Absprache und den Besuch nicht übermäßig auszudehnen. Die Gesprächsthemen sollen den Patienten nicht bekümmern, sondern das Ziel haben, zu trösten, aufzuheitern, Hoffnung zu geben. Erwünscht ist auch, dass Hilfe angeboten wird, vielleicht brauchen die Angehörigen Unterstützung, wenn es beispielsweise um Haushalt und Kinderbetreuung geht oder es gibt vielleicht die Möglichkeit, in einem finanziellen Engpass zu helfen. Solche oder ähnliche Aspekte der Hilfe sollte jede Besucherin bzw. jeder Besucher je nach Bedarf und eigenen Möglichkeiten bedenken. Auch tatkräftige Hilfe unterstützt so die Gesundung, indem der Kranke bei diesen zusätzlichen Sorgen eine Entlastung erfährt.

Meistens wird von muslimischen Patient*innen erwartet, dass die Besuchenden Segenswünsche und Bittgebete spenden und sie oder ihn an die religiösen Ideale der Geduld und des Gottvertrauens erinnern. Dies ist eine wichtige seelsorgerliche Ressource, mit welcher auch die muslimischen Seelsorger*innen arbeiten können. Bei Themen, die religiös und kulturell unterschiedlich geboten sind, wie beispielsweise die Intensität der Krankenbesuche, die von den hiesigen abweichen können, können muslimische Seelsorger*innen mit ihrer Kenntnis der religiösen Regelungen und kulturellen Gepflogenheiten zwischen Patient*in und Angehörigen, den Mitpatient*innen und/oder dem Pflegepersonal vermitteln. Oftmals wird in Krankenhäusern bei hohem Besuchsaufkommen um die Nutzung der Aufenthaltsräume gebeten, so dass einerseits Mitpatient*innen und Pflegepersonal nicht beeinträchtigt werden, die muslimischen Patient*innen aber dennoch durch die Besuche eine Anbindung an die Gemeinschaft haben. Dies zeugt von Respekt und interkultureller Kompetenz, denn es ist an dieser Stelle wichtig zu wissen, dass für viele muslimische Menschen das Erfahren von Gemeinschaft eine wichtige Quelle für seelisches Wohlbefinden und damit für die Gesundwerdung ist. Die Familienbande und die Gemeinschaftsbeziehungen sind religiös und kulturell im Vergleich sehr eng. Eine Trennung von der Familie wie der Gemeinschaft wird oft als stark belastend erlebt. Auch das Religiöse ist nicht nur eine individuelle Beziehung zwischen der einzelnen Person und Gott, sondern es geht vor allem auch um eine Glaubenserfahrung in Verbundenheit mit anderen. Der Krankenbesuch ist einerseits für die Besucher*innen Teil ihrer islamischen Lebenspraxis, andererseits stellt er für die Besuchte bzw. den Besuchten ein Zeichen für die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft dar, die bzw. der Kranke erfährt Mitgefühl, Achtung und Anerkennung von seiner Familie und dem sozialen Umfeld.

In unterschiedlichen Problembereichen ist neben der religiösen die interkulturelle Kompetenz gefragt. Die Vorstellungen von Krankheit und Gesundheit beispielsweise können kulturspezifisch stark unterschiedlich sein. Es gibt volkstümliche Meinungen über bestimmte Behandlungsarten, die in der hiesigen medizinischen Versorgung kontraproduktiv sein können. Auch die Art, wie Beschwerden oder Schmerzen geäußert werden, kann divergent sein. Kulturbedingt kann es sein, dass Schmerzen traditionell durch lautes Klagen oder insbesondere bei Frauen zusätzlich durch Weinen zum Ausdruck gebracht werden. Fehlt das interkulturelle Wissen, kann ein solches Verhalten schnell als besonders wehleidig oder sogar hysterisch eingestuft werden, was leicht auf Unverständnis stoßen und zur Entstehung von Vorurteilen führen kann. Die Patient*innen fühlen sich in diesem Fall mit ihren Beschwerden nicht ernst genommen.


Spezifische Regeln, die islamische Lebensführung betreffend

Im Bereich Krankenhaus und medizinische Behandlung ergeben sich für praktizierende Muslim*innen viele Fragestellungen, die ein profundes religiöses Wissen voraussetzen. Im Islam gelten beispielsweise bestimmte Hygienevorschriften oder z.B. auch bestimmte Schamgrenzen zwischen Männern und Frauen. Es besteht der Wunsch, wenn irgend möglich, von einem Arzt/einer Ärztin des gleichen Geschlechts behandelt zu werden. Unsichere Gebiete für Muslim*innen sind zumeist die Einhaltung der Essensvorschriften auch im Krankenhaus und die Frage, welche Inhaltsstoffe die Medikamente enthalten. Es geht hier um die islamische Kategorisierung in haram (verboten) und halal (=erlaubt). Beispielsweise ist Muslim*innen der Genuss von Schweinefleisch untersagt und somit auch die aus dem Schwein gewonnene Gelatine, welche aber wiederum ein häufiger Bestandteil von Nahrungsmitteln und Medikamenten ist. Genauso verhält es sich mit alkoholhaltigen Substanzen in Medikamenten oder auch im Krankenhausessen. Die Frage richtet sich danach, ob bestimmte Medikamente grundsätzlich erlaubt sind oder ob es Umstände gibt, unter denen es dennoch erlaubt ist, diese Medikamente zu nehmen obwohl sie unerlaubte Substanzen enthalten. In diesen Bereichen können Seelsorger*innen vermitteln oder den Patient*innen Lösungsmöglichkeiten aufzeigen.

Des Weiteren werden ethische Fragen berührt, wenn es beispielsweise um Organspende oder die Verfassung einer Patientenvollmacht geht, und die Betroffenen ihre Entscheidungen im Einklang mit ihrer Religion treffen wollen.
Die Anforderungen an die muslimischen Seelsorger*innen gehen hier über den seelsorgerlichen Beistand hinaus, sind aber gleichzeitig untrennbar mit einem seelsorgerlichen Gelingen verknüpft, da die „religiös konforme Absicherung“ eine Voraussetzung für einen seelischen und damit auch für einen physischen Stabilisierungs- und Heilungsprozess ist.

Angesichts dieser Notwendigkeiten werden unsere Seelsorger*innen grundlegend in islamischer Theologie und medizinethischen Fragestellungen ausgebildet. Schwerpunkt bilden die Bereiche der Theologie, die für diese Erfordernisse in der Praxis Voraussetzung sind. Vor diesem Hintergrund und der Tatsache, dass die heutige Medizin hochentwickelt und hochkomplex neue Behandlungen möglich macht, welche häufig ethischer Erwägungen bedürfen, gibt es für unsere Seelsorger*innen auch das Angebot, sich in einer speziellen Fortbildung in Medizinethik zu spezialisieren.


Das seelsorgerliche Gespräch am Krankenbett

Zu einer Heilung gehören immer das körperliche und das seelische Wohlbefinden. Auf dem Weg zum letzteren sind die Seelsorger*innen tätig. Die Kunst der Seelsorger*innen besteht darin, für jede individuelle Patientin, jeden individuellen Patienten im seelsorgerlichen Gespräch zu erspüren, wo deren oder dessen besondere Belastung liegt. Dass die Seelsorgenden der Schweigepflicht unterliegen, ist selbstverständlich und notwendig. Die Schweigepflicht ist die Grundvoraussetzung dafür, dass sich jemand vertrauensvoll über sein Privatestes öffnen kann. Die Patient*innen in Krankenhauseinrichtungen sind von Unterschiedlichem belastet, beispielsweise haben sie eine ernste Diagnose bekommen, stehen vor einem schwerwiegenden Eingriff, haben schon eine lange Leidensgeschichte hinter sich oder sind zusätzlich zu ihrer akuten Erkrankung auch privat sehr belastet. Die eigene Glaubensüberzeugung der Seelsorgenden tritt im seelsorgerlichen Gespräch zurück, der jeweilige erkrankte Mensch steht im Mittelpunkt.

Manche Menschen können sofort ein intensives seelsorgerliches Gespräch führen, oftmals sprechen Patient*innen ihre seelischen Belastungen und Konflikte jedoch nicht direkt an, sondern erst nachdem die Zeit dafür ‚reif‘ geworden ist. Das bedeutet, dass Betroffene möglicherweise Zeit brauchen, Vertrauen zu fassen, um sich über sensible Angelegenheiten öffnen zu können oder eben auch Zeit, um sich selbst einzugestehen, dass ihnen ein seelsorgerliches Gespräch gut tun würde oder sogar notwendig für sie wäre. Die Seelsorgenden sind in dieser Begleitung sehr geduldig und sensibel. Seelsorge ist ein Beziehungsgeschehen, in welchem die bzw. der Betroffene die eigenen Gefühle und Gedanken aussprechen kann und von der bzw. dem Seelsorgenden zunächst durch aktives, empathisches Zuhören den geschützten Raum dazu zugesichert bekommt. Durch dieses Aussprechen der ureigenen Gedanken- und Gefühlslage kann sich der/die Betroffene selbst anders, distanzierter und differenzierter wahrnehmen. Dies ist eine wichtige Voraussetzung, seelische Selbstheilungskräfte zu initiieren.

Welche seelsorgerlichen Ressourcen der bzw. dem Betroffenen zur Verfügung stehen, ergibt sich im Laufe des seelsorgerlichen Geschehens. Inwieweit sich hier Impulse aus der eigenen Religionsauffassung ergeben, hängt von der bzw. dem Betroffenen selbst ab. Die Seelsorger*innen achten auf mögliche Impulse jedweder Art und versuchen, diesen nachzugehen Aus der Religion, aus dem Glauben, können große Heilungsimpulse erwachsen und für die Seelsorgenden wird im Gespräch sichtbar, ob und welche Ressourcen hier genutzt werden können.